Die sanfte Superkraft
Jeder Mensch wünscht sich, gesehen und gehört zu werden – mit seinen Erfahrungen, Wünschen, Bedürfnissen und Träumen. Wenn wir Empathie (neu) lernen, schaffen wir eine Basis für gelungene Kommunikation.
Mitgefühl, Mitleid, Anteilnahme, Einfühlungsvermögen? Wenn es um Empathie geht, stoßen allerlei unterschiedliche Begrifflichkeiten und Bedeutungen aufeinander. Die Sozialwissenschaftlerin, Speakerin und Bestseller-Autorin Brené Brown sagt: „Empathie bedeutet, zu begreifen, was andere fühlen – nicht es selbst zu fühlen.“ Wenn wir mit jemandem mitleiden, macht uns das ohnmächtig. Einfühlungsvermögen und Anteilnahme wiederum versetzen uns in die Lage, mit anderen und uns selbst mehr in Verbindung zu kommen. Wer empathisch ist, ist bereit, sich den Gefühlen, Gedanken und Einstellungen des anderen gegenüber zu öffnen und beispielsweise eine Situation aus der Sicht des anderen zu sehen. Das A und O der Empathie ist die innere Haltung, die andere Person verstehen zu wollen und erkennen zu wollen, wie sich etwas für sie anfühlt.
Laut Brené Brown dreht sich Empathie darum, dem anderen zuzuhören, wie es ihm mit einer Sache geht und ihm das zuzugestehen; auch wenn man selbst vielleicht anders damit umgehen oder es anders empfinden würde. Laut der Expertin ist die Fähigkeit also daran geknüpft, einer Person Fragen zu stellen, ihr aufmerksam zuzuhören und sie zu beobachten – sowie die Gefühle, Gedanken und Erfahrungen der Person nicht nach den eigenen Maßstäben zu bewerten. Dieser Perspektivwechsel ist essenziell, wenn wir verstehen wollen, was Menschen bewegt.
Berichtet jemand von einer schmerzhaften Situation, unangenehmen Gefühlen oder quälenden Sorgen, neigen wir oftmals zu bestimmten Reaktionsmustern. Wir beteuern unser Verständnis („Ich weiß genau, was du meinst, ich kenn das!“), beschwichtigen („Sicher hat sie es nicht so gemeint“), lenken ab („So schlimm ist es doch nicht, den Nachbarn geht es viel schlechter“), sprechen dem anderen seine Gefühle ab („Davor brauchst du doch keine Angst zu haben“), präsentieren Lösungen („Du musst ihm endlich sagen, was Sache ist“) oder verurteilen („Du bist selbst schuld/Er ist schuld!“). All das sind erlernte Reaktionen und gehören für viele zur alltäglichen Kommunikation, meist mit den besten Absichten. Doch allen Antworten fehlt es an Empathie.
Stellen Sie sich vor, Sie berichten verschiedenen Menschen, wie enttäuscht Sie von Ihrer Chefin sind, die Ihre Leistung überhaupt nicht würdigt. Eine Freundin schimpft mit Ihnen auf die Chefin und Sie steigern sich gemeinsam rein, eine andere lenkt ab und erzählt von den größeren Problemen auf der Welt, die dritte rät sofort zum Gespräch mit dem nächsthöheren Vorgesetzten. Doch was wollen Sie eigentlich gern hören? Wäre es nicht toll, wenn Ihr Gegenüber antworten würde: „Oh Mann, du bist echt enttäuscht, oder? Das ist ganz schön frustrierend. Du gibst dir so viel Mühe und hast das Gefühl, sie sieht deinen Einsatz überhaupt nicht. Und du weißt gerade gar nicht, wie du damit umgehen sollst, oder?“ Das ist ein Beispiel für echte Empathie, und die klingt für viele von uns gewohnt. Doch es ist genau diese Anteilnahme, die uns innerlich zur Ruhe kommen lässt und hilft, wenn wir frustriert sind – denn auch gemeinsames Ärgern wirkt nur kurzfristig befreiend oder hält uns sogar in den unangenehmen Emotionen fest. Mit Empathie jedoch fühlen wir uns gesehen und gehört mit dem, was uns beschäftigt. Erst wenn wir „satt“ sind mit Empathie, sind wir offen für neue Blickwinkel und eine Lösungsfindung.
Was tun, wenn wir gerade Empathie brauchen – aber keiner bereit ist, sie uns zu schenken? Ganz klar: Wir kümmern uns selbst darum. Um unser Bedürfnis nach Empathie zu erfüllen, brauchen wir keine andere Person; mit ein bisschen Übung können wir sie uns selbst schenken. Das stärkt die Selbstbeziehung und unsere Empathiefähigkeit im Allgemeinen. Denn erst wenn wir uns selbst gegenüber empathisch und mit unseren Gefühlen und Bedürfnissen verbunden sind, können wir uns adäquat in andere einfühlen.
Wer sich selbst mehr gesehen und gehört fühlen will, darf mit gutem Beispiel vorangehen und sich darin üben, anderen Empathie zu schenken.
Der wichtigste Schritt ist die Präsenz: also wirklich da zu sein und dem anderen seine ganze Aufmerksamkeit schenken. Dazu gehört, ruhig zuzuhören und sich auf den anderen einzulassen, statt das Gesagte auf sich selbst zu beziehen. Achtung: Das gelingt nur, wenn wir ein ehrliches Interesse an dem haben, was den anderen bewegt.
Vielleicht kennen Sie auch diesen Impuls, die Erfahrung des anderen durch eigene Erlebnisse zu stützen. Indem wir von ähnlichen Ereignissen berichten, wollen wir dem anderen das Gefühl geben, nicht allein mit einer Situation zu sein und ihn zu verstehen. Doch so ein schnelles „Ich verstehe dich“-Signal kann manchmal bewirken, dass sich der andere „abgewürgt“ und sogar weniger ernst genommen fühlt. Es lohnt sich also, mit eigenen Erfahrungen und Meinungen zurückhaltender zu sein, um dem anderen mehr Raum zu geben.
Fragen stellen statt Ratschläge erteilen oder Urteile fällen – also beobachten statt bewerten. Das ist vielleicht der schwierigste Teil: Hinter das Gesagte zu blicken und die Gefühle des anderen zu ergründen und zu benennen. Fragen helfen dabei: „Wie war das für dich? Bist du traurig, weil du dir mehr Ehrlichkeit wünschst? Was würdest du dir anders wünschen?“ So können Sie sich gemeinsam und Stück für Stück den Bedürfnissen des Erzählenden nähern.
Mehr über empathisches Kommunizieren lehrt die sogenannte Gewaltfreie Kommunikation von Marshall Rosenberg. Hier dreht sich alles um Empathie – mit sich selbst und anderen. Wie Sie schrittweise in die Haltung und Techniken der GfK einsteigen können, erfahren Sie hier.